Dienstag, 5. Februar 2013

Vladimir - Croques-monsieur


Croques-monsieur - verzehrbereit

Gleich fährt ein schneller Zug im HB Zürich ein. Ich, Vladimir, sitze in diesem Zug. Sie, die angelsächsische Hirschengrabenspuckerin mit Lächeloption und Pferdeschwanz rennt jetzt bestimmt durch die grosse Halle. Denn sie will auf mich warten, wenigstens zwei Sekunden. Im Zug sitzen und wissen - am Ende der Fahrt jemand auf Dich - grossartig. Später. Barbera trinken in ihrer Wohnung. Sie meint „Wenn es regnet ist die Stadt so schön leise.“ Dazu lackiert sie wieder ihre Fussnägel. Kurze Kennenlernerinnerung an Sofamomente in Bern. Ich mag es nicht, wenn die Dinge verblassen, sich verlieren. Ich mag nicht so tun, als hätte ich vergessen. Ich vergesse es nicht. Meistens auf jeden Fall. Tiefkühlschinkengipfeli als Weinbegleitung. Sie erzählt von ihrem Mann. Unschön für mich. Dementsprechend ist mein Schinkengipfeliappetit limitiert. Aber eben, aushalten. Denn angenehme Dinge sind chronisch illegal oder unmoralisch oder machen dick. Item, wir haben keinen Plan… und das ist gut so. Langeweile als Ziellinie. Noch später. Indisch essen. Der Geruch geht hängt in den Restaurantvorhängen. Fürchterlicher Wein. Notiz an mich: „Nie Wein beim Inder bestellen.“ Sie lächelt, mit traurigblauen Curryaugen. Spaziergang. Sie „Du musst Dein Ändern leben.“ Sage nix. Wir ändern bloss die Richtung. Stehen am See. Dort verkleidet sich der Regen ob der Kälte als Schnee. Und ich denke „Wo ist der verdammte Wohnungsschlüssel?“ Egal, wir gehen weiter. Höre laute Musik und sehe wieder ihre Pirouetten. Viele Kreative tanzen um sie. Die Kreativen meinen sie seien verrückt-wild, weil sie farbige Schuhe tragen. Sie umarmt einen Vertreter des Caran d’Ache-Tornados. Gesichter wie müde Croques-Monsieurs. – Ich bin kein Schinken; es wird nix mit ihr. Zu Fuss an den Bahnhof. Sehr still plötzlich. Bloss das Post-Disco-Pochen in meinen kalten Ohren. Gerne hätte ich nun ein Mixtape und einen Walkman. Ich hätte es wissen müssen. Eine Frau, die beim Telefonieren Emails schreibt… Aber eben. Manchmal hat das Herz unrecht.

Donnerstag, 10. Mai 2012

Mia - Floppen-Eintopf.

Präeisheilige Sonnentage im Quartier: Erfrorene Balkonleichen werden mit mehrjährigem Grünzeugs ersetzt. Der ganze „Blumen-sind-so-stimmungsvoll-schön“-Ansatz ist damit endgültig gescheitert. Wobei zu Knoblauch und Zwiebeln habe ich mich als Mia 2.0 hinreissen lassen. Denn Mia 2.0 weist ein neues Feature auf: Fleischlosigkeit. Nicht so eine Moda-Flexetarierin, auch keine Veganerin. Vorteile offensichtlich: kürzere Wege im Coop, „Bambi“ ohne schlechtes Gewissen schauen und (aus lauter Verzweiflung) brandneue Geschmacksrichtungen auf meiner Zunge. Zudem dehne ich den Vegi-Approach flexibel aus: Rindsbouillon und Ketchup sind erstaunlicherweise in meiner Gemüse&Freunde-Kategorie. Herzlich willkommen! Aber es harzt. So war ich gestern an einem Vegi-Abend in einer Vegi-Beiz mit Vegi-Menschen. Dort tun alle so, also ob Fleischlosigkeit „courant normale“ wäre. Dementsprechend betonen wir alle andauernd wie regional und frisch die Speisereien seien. Bei Bemerkungen wie „Das Bauchgefühl kommt immer zuerst“ oder "Schwein nicht gehabt" steigt die Peinlichkeit in meinem Hals hoch. Das ging weiter und weiter, die Männer wurden immer unattraktiver, der Biowein konnte dies nicht mehr kompensieren, schampar sarkasmodisch. Ich dachte mir „Irgendjemand hat eine Dose Idioten aufgemacht“. Also Abschied auf Französisch, hurtig über den Breitschplatz nach Hause. - Im Bett liegend und SMS lesend: „Shopping? X Cosima“ steht da? Und plötzlich bin ich wieder vegetarischer. Denn wer "Shoppen" als Aktivität angibt, hat etwas sehr Grundlegendes nicht verstanden. Interessanterweise mische ich schlaftrunkten die Themen Fleisch und Shoppen zusammen: „Floppen-Eintopf“. Aber unschönerweise schiebe ich mich damit auch in die Birkenstockecke. Und dort will ich doch nicht sein. - Ich ignoriere und denke, irgendwie ist der diagonale Blumenschenker heute unendlich weit weg. Seine anziehende Aufmerksamkeit bloss eine Erinnerung. Tami, soll ich nun Schinkengipelisaft trinken? Egal, Liebeskummer ist Luxus.

Dienstag, 13. März 2012

Vladimir - In the end I will always choose disco.

Der Gringaschmetterling piepst sich transatlantisch-binär meinen Blackberry. Seit Monaten habe ich sie nicht mehr vor mir gesehen. Aber ganz knapp, ist sie mehr als nur ein verblassender Traum. Sie ist eine Erinnerung. Eine Erinnerung mit Möglichkeiten. Item, jetzt liegt eine Andere auf dem Sofa. Wieder angelsächsische Herkunft. Im frühmorgendlichen Bollwerk-Kapitel meint Sie I could love you, but just that you know, in the end I will always choose disco. Denise-Biellmannig dreht sie ihre Runden. Schnell, ein tanzendes Lauffeuer, mit Lächeloption und Pferdeschwanz. Dabei strahlt sie mehr Wärme aus als ich. Innere Unzufriedenheit aka melancholische Trunkenheit. Später über den nächtlichen Bahnhofplatz zum Monbijou. Auf der Höhe Hirschengraben plötzlich: der versöhnliche Nachthimmel. Sie spuckt auf den Kiesboden. Ich: Was soll ich bloss von Dir halten? Sie: Du kannst mich halten für was Du willst. Solange Du mich im Arm hältst. – Später lasse ich sie haltlos auf dem Sofa Typ Pedro schlafen. Denn schlafen lohnt sich auch dann noch, wenn mensch denkt es lohnt sich längst nicht mehr. Nach Sonnenaufgang trinken wir Katerkafi, ich erzähle Schmetterlingsgeschichten und sie meint Liebeskummer ist Luxus, Honey. Ich nicke und esse eine unberechenbare Kiwi. Postduschig legt sie sich auf den Pedro und lackiert sich die Fussnägel. Ich lese Zeitung. Sie schläft ein. Der Lack trocknet. Ich wasche unsere Kleider. Sie trägt Interimskleider aus meinem Schrank. Ich stehe vor der Waschmaschine und denke: Gibt es etwas längeres als die letzte Waschmaschinenminute? Später schlafen wir wieder. Sie ist jetzt in meinem Bett. Aber bloss freundschaftlich orientiert. Das Hirschengrabenspucken irritiert mich zu sehr. Und sie mag mich nicht mit einem Blackberry teilen. Item. Ich mag sie, denn die Hirschengrabenspuckerin mit dem Pferdeschwanz ist keine Trendschlampe.

Dienstag, 22. November 2011

Mia - Freistil-Yoga.

Der goldene Herbst im Breitsch ist Geschichte. Winterstimmung allenthalben, noch ohne Schnee, riecht aber verdammt danach. Wichtig: Indian Summer my ass. Nun, der Vorwinter bringt auch Erfreulichkeiten: die illegalen Wahlplakaten zwischen Köniz und Schwarzenburg haben Ihr Ziel verfehlt. Der braune Oberländer sitzt nicht mehr im Stöckli. Item. Gestern tanzend im Wasserwerk. Im Raucherraum sitzen mehr Leute als Tanzende auf der Tanzfläche. Plötzlich gesellt sich Feuer zum Rauch. Highheel-Frauen fliehen panisch und notfallmässig bloss barfuss in den Hauptraum. Panik sieht bescheuert aus. Wir tanzen weiter und riechen wie Landjäger. Der Türsteher löscht die Kleinigkeit. Die Musik bleibt minimal und gar nicht aufbrausend. Dennoch adäquat. Tanze weissweinig. Die Schritte immer näher an einen Lederjackenmann. Ein Mann mit einem aggressiven Gesicht. Taxi-Driver-ig. Die Wut zieht mich an. Plötzlich tanze ich neben und hie und da irgendwie unter ihm. Später kurz an der frischen Luft. Dort steht er, raucht und ich erkenne „Wenn Hormone auf Musik treffen, verliert immer der Geschmack.“ Nun, er mag meinen Geschmack. Hinter der Härte seines Gesichts verbirgt sich ein Brävling. Zack: seine Hand auf meiner Schulter, auf meiner Hand. Ich sage nichts. Stunden später, alleine im Bett liegend nehme ich mir vor „Frau sollte meist schneller mit einem beherzten ‘Fick Dich’ zur Hand sein.“ - Unkaterig erwache ich, plane nach dem Morgenkafi meine Stimmung mit Yoga zu heben. Funktioniert nicht. Yoga wird überbewertet (wie übrigens auch Paulo Coehlo und Till Schweiger und Roger Schawinksi). Aber schliesslich ist Yoga auch nicht olympisch. Stellen Sie sich das einmal von: Beni Turnheer von den Olympischen Spielen in London: „Herzlich willkommen, liebe Freunde des Yoga-Sports. In wenigen Sekunden sitzt die Schweizermeisterin im Freistil-Yoga auf das Mätteli. Da steht sie schon, Mia aus 3014 Bern...“.

Samstag, 1. Oktober 2011

Vladimir - Gringaschmetterling.

Monbijou - noch ohne Gringa
Im Monbijou liegt sie neben mir, die Marshmallow-Gringa. Weiss ziemlich genau, wie sie und ich in meiner Wohnung, in meinem Bett gelandet sind. Die Augen noch geschlossen befürchte ich einen Morgen voller Peinlichkeiten. Wobei dieser wäre immerhin besser als eine Nacht in Einsamkeit. Doch meine Ängste sind grundlos. Sie liegt neben mir und schweigt - zunächst. Sie schweigt und lächelt. Dieses Lächeln ist ein echtes Lächeln, denn die Augen machen mit. Kafitrinkend erzählt sie: Consulting-Job, Flughafenaffinität, Männergeschichten, Auftragsflaute, Workforce reduction, etwas mit Tabletten. Aber auch Just because I am losing does not mean that I am lost. Sie ist seltsam, neuanders. Sie schweigt wieder und später will sie gehen, da der Blackberry eifrig rasselt. Begleite mich ein Stück. Es könnte amüsant werden, meine ich. Sie bleibt und wir gleiten zusammen. Sie strahlt mehr Wärme aus als ich. Mit neuen Sätzen strickt sie sich ein neues Leben. Im Zustand der Verpuppung. Der Gringaschmetterling ist eine Frage der Zeit. Mehr Kafi, dann Felsenaubier und in Gedanken Marshmallows. Noch mehr Sätze. Sie sprudeln aus Ihrem blassroten Mund. Durch die Lücke zwischen den gebleichten Zähnen (aka Vanessa Paradis-Gebiss) hindurch. Die Worte füllen meine leeren Blätter. Der Regen draussen dämpft den Verkehrslärm. Schön leise.

Donnerstag, 29. September 2011

Mia - Ich fordere Verwirrung.

Goldener Herbst im Breitsch. Blätter fallen. Roter Nagellack löst sich auf. Ich liege im Bett und fühle mich wie eine Tiermenschin, vorwinterschlafig. Gegen Mittag schlurfe ich zum Briefkasten, im Bademantel, von der Hoffnung begleitet, dass dieser Ausflug nicht in einem Gespräch münden möge. Schlimmstenfalls mit den Nachbarn. Die mit dem Kind stampfenden Kind von oben. Ich streife das kalte Treppengeländer. Meine nackten Füsse auf den Fliessen. - Schwein gehabt. Nachbarn on tour. - Im Briefkasten Drrr Bund und Werbung. Wieder nur Werbung. Tami. Ich will doch Liebesbriefe. Stattdessen gönne ich mir am Küchentisch sitzend: müdes Müesli und  Musik von Republica. Laut, lauter, immer lauter. Um die eigenen immergleichen Gedanken nicht mehr hören. Aber die Haare fangen die Monotonie auf. Fantastisch schweife ich ab: Der diagonale Blumenschenker soll nun an der Türe klingeln. Laut, beharrlich. Auf das Glas klopfen. Lasse in herein. Er füllt gleich den Raum mit Lärm, Chaos und Verwirrung. Ich fordere Verwirrung! Ich fordere Lachen und Kreischen. Umarme mich, dusche mich mit Küssen! - Aber eben, in meiner realen Welt geht es um illegale Wahlplakate zwischen Schwarzenburg und Gasel, Krankenversicherungen und Take-away-Aktionen. Schön. Später im Coop, in den Knöchel gerammt von einer rabiaten Rentnerin. Ich meine lapidar „Kein Problem“. Offensichtlich eine sehr dämliche Antwort. Wenigstens sind jetzt Prosecco, Mayonnaise und Paprika Chips in meiner Einkaufstüte. Also Abendessen. Aber wo steckt bloss der Blumenschenker? Es gibt noch manche Stille, welche ich für Dich mit einem Tänzchen füllen möchte.

Freitag, 16. September 2011

Vladimir - Moules und Marshmallows.

Zufriedene Marshmallows, mehrfarbig
Im Ringgi gibt es Moules, frisch gepflückt, da reif. Etwas erzwungen finde ich die herbstliche Moulerei angesichts der Meerferne schon, aber eben, ist halt Saison. Mit ehemaligen Arbeitskollegen trinken wir sanftmütigen Weisswein und essen maritimes Fleisch. Dazu gehört selbstverständlich die Verbalisierung der auf Xing notierten beruflichen Meilensteine. Mir geht durch den Kopf, dass mensch sich irgendwann grundlegend entscheiden muss: sonntags mit dem Jaguar ins Büro oder montags mit dem Velo an den Strand. Ich wähle jeweils tagesunabhängig mit dem Schinkengipfeli im Tram. Diagonal, hinten rechts, guckt eine Frau. Gucktlächelt. Ich ahne, dass sie mich meint. Später bin ich sicher. Wir sprechen draussen, rauchend, miteinander. Noch vor dem ersten Zigiende: „You met me at a very strange time in my life.“ Sie ist eine Gringa. Eine schöne Gringa, wenn auch flachschuhig. Vor dem Kafi, welches ich gar nicht trinke, wird erneut geraucht. Ich überlege mir mein Leben kurz zu speichern und einen Versuch mit Gringa zu wagen. Sie will auch. Bereits mit geschlossenen Augen flüstert sie mir im Bett zu „Zufriedenheit feels like Marshmallows“.

Samstag, 10. September 2011

Mia - Roter Nagellack geht immer.

Bored in Prishtina
Erwache in meinem eigenen Bett, noch in den Jeans. Immerhin, könnte ja auch ein fremdes Bett ohne Jeans sein. Gestern im Wasserwerk, unten in der Matte. Noch einmal so richtig die Nachbarn stören. Ein Mann war dort. Mit ihm eine Frage: „Wie geht es Dir?“ Immer diese nutzlose Füllerfrage. Habe bloss gegrunzt. Er antwortet mit einem Drink für mich. Schlürfend möchte ich schreien „Bring’ mich so richtig zum Lachen, dann hast Du mich schon fast.“ Stattdessen schweige ich mysteriös-dämlich und er erzählt von Dienstreisen, kulturell schampar spannend und irgendwelchen Vertragsabschlüssen. Dazwischen wieder ein Drink und plötzlich ist Mia betrunken. Einfach so. Wankend höre ich dem Manngeräusch zu, klammere mich dabei an süsse Melancholie und betrachte meine Fingernägel. Die Erkenntnis: „Roter Nagellack geht immer.“ Er brabbelt weiter, seltsamerweise nicht über Nagellack. Ich verlasse ihn. Zuerst im Kopf und dann mit den Füssen. Und nun liege ich eben im Bett und schlafe eigentlich noch. Wachschlaf in Jeans. Frau Rickli, Herr Mumenthaler und das Meerschweinchen Kaurismäki sind weit weg. Bettfertig sein ist tami anstrengend.

Sonntag, 4. September 2011

Vladimir - Atemlosigkeit.

Schmallippig in St. Petersburg

Aufgeben mag ich nicht. Mia aus der Halbgrossstadt Bern ist irgendwo. Aber derzeit fühle ich mich krokodilig und fokussiere auf das Rasenmähen sowie auf das gelegentliche Verspeisen von Ungesundkeiten. Überhaupt sind alle angenehmen Dinge entweder illegal, unmoralisch oder sie machen dick. Andere Gesetze und Anstandsregeln wären spassiger. Item, so ist es halt nicht. Machen wir weiter im Wissen, dass die pure Vernunft niemals siegen darf. Dennoch schreibe ich vernünftigerweise Einkaufslisten und notiere Geburtstage. Sonst gibt es ein Puff im Fadechörbli. Und eben, in dieser vernünftigen Normalität passiert nix. Bloss eine Aneinanderreihung von Momenten, in denen wir atmen. Das Leben, das richtige Leben besteht hingegen aus Momenten, die uns den Atem rauben. Atmen wird überbewertet. Atmen am Tag, atmen nachdem die Sonne untergegangen ist. Wobei die Bedeutung nachts um ein Vielfaches leuchtet.

Sonntag, 21. November 2010

Mia - doppelte Sünde.

Flüchtende Pflanzen, Madrid
Sowiesowil, wo ich herkomme, ist für das Leben zum Leben ungeeignet. Langatmige Regenfälle und lausige ÖV-Verbindungen machen jedes Vorhaben ungeheuer mühsam. Schon mit zwanzig ist die Landfrau oft ordentlich müde, so richtig erholen kann man sich erst mit sechzig. Es ist ein zeitloses Leben, zu dessen grössten Errungenschaften die Möglichkeit zählt, im eigenen Bett oder in der Beiz zum lachenden Löwen zu sterben. Dazwischen gibt es eigentlich nur Erziehung, Pubfestivals und 1. August-Feiern.

Ein ganz anderes Leben findet hier in der Halbgrossstadt Bern statt. Man kann gleichzeitig mehrere Leben führen. Doppellebig. Nichts ist hier so, wie es scheint. Beispielsweise die Postschalterfrau, eine halblustige und senfgelbblusentragende Frau mit dem Namensschild Rickli erlebe ich wenige Tage nach der letzten Transaktion als Tänzerin im Schlachthaustheater. Sie symbolisiert das weibliche Glück: In einem wallenden weissen Kleid tanzt sie zuviele Runden auf der Bühne. Hie und da schaut sie bei einer Herdplatte mit drei grossen Töpfen vorbei. In denen kocht Rickli eine undefinierbare Masse. Nach etwa fünfzehn Minuten schwitzt die tanzende Köchin ordentlich. Sie geht zum Herd und schüttet hastig den Inhalt der Kochtöpfe über ihr Kleid. Die Schüttmasse: Schokolade. Der Kritiker vom Drrr Bund schreibt nach der der Performance, dass die Choreographie unglaubwürdig und allenthalben sexistisch sei. Ich nicke lesend und meine, Schönheit liegt im Auge der Betrachterin. Und die Schoggirickli fand ich nicht schön. Und zudem befürchte ich nun, dass zukünftig sämtliche Briefmarken, bei der notwendigen Schleckerei, nach Schokolade riechen werden.

Herr Muhmenthaler und ich begegnen uns auf dem RAV, als ich einmal etwas langzeitarbeitslose. Wobei dieser Begriff nicht abschliessend auf mich zutrifft. Denn manchmal habe ich auch gegen Naturalien gearbeitet und nicht für Schweizer Franken. Aber irgendwie ist das auf dem RAV-Formular nicht vorgesehen. Item. Seine Aufgabe besteht darin, Arbeitslose mit schwer vermittelbaren Berufen wie Balletttänzerin, katholischer Pfarrer und GCZ-Spieler dazu zu bringen, mittels Umschulung den Beruf zu wechseln. Herr Muhmenthaler spricht oft und ausdauernd und gerne über Vernunft. „Wissen Sie, Mia, ich bin ein grosser Freund ihres Berufes“, sagte er zu mir, „und ich bin schampar froh, dass man ihre Leistung heutzutage an mancher Ecke bestaunen kann. Aber ich rate Ihnen dringend, einen vernünftigen Job zu erlernen, den einer Wirtschaftsprüferin oder einer Steuerberaterin Schweiz-Deutschland beispielsweise.“ - Sein Hemd passt farblich ideal zu den Tapeten in seinem Büro. - Muhmenthaler klingt sehr vernünftig und überzeugend. Er verdirbt mir für den Rest des Tages gründlich meine Laune. - Zufälligerweise habe ich meinem Vater am selben Tag versprochen, ihm den abendlichen Breitsch etwas näher zu bringen. Darauf wartet er schon ordentlich lange. Schliesslich will er wissen, wo seine Tochter sich so herumtreibt. Kurz nach 22 Uhr landen wir in einer Lokalität, welche nicht nur von Heteros besucht wird. Dort erzähle ich meinem Vater von dem frustrierenden RAV-Gespräch. Plötzlich entdeckte ich Muhmenthaler in einer Ecke. Er trägt Jeans mit Lederelementen, eine senfgelbe und damit rickliartige Lederjacke und um den Hals eine einigermassen dicke Goldkette. Aber eben, es ist nicht alles Gold, was glänzt. Ein junger, offenbar ziemlich fröhlicher Thailänder, sitzt lachend auf seinem Schoss. Herr Muhmenthalers Augen glänzen. „Da ist er übrigens, mein RAV-Berater“, sage ich zu meinem Vater, der sich hemmungslos umsieht, dann den Kopf langsamtadelnd schüttelt und meint, dass Unkraut nicht vergeht. Ich kontere mit, „zuerst die Arbeit, dann das Vergnügen.“

Donnerstag, 8. April 2010

Wo warst Du am Todestag von Robbie Williams?

Wo auch immer, Du kannst froh sein, dass Du nicht in meinen Schuhen warst. Meine Schuhe waren nämlich ungemütlich, damals vor fünf Jahren, also zwanzig-zehn.

Es ist 2010 und ich arbeite als Gärtner in Los Angeles. Dort herrscht Wasserknappheit und Farbenvielfalt. Ich mag die grüne Routine. Während der Advents- und Weihnachtszeit fallen mir die starrenden Menschen erstmals auf. Meist mit einem verzogenen Lächeln. Aber erst als mich eine Frau in der Strasse mit “Mr. Williams“ anspricht, realisiere ich die Tragweite. Ich eile nach Hause, nach Venice Beach und gucke in den Spiegel. Bisher hatte ich niemals dieses Problem gehabt. Die Ähnlichkeit ist erst mit dem Alter gewachsen.

Wie eine prominente Person auszusehen ist grundsätzlich komisch. Aber in Los Angeles ist es eine Tragödie. Berühmtheit ist hier das Produkt und nicht die Kunst. Mein Status war an das Verhalten dieses anderen Typen geknüpft. Keine Woche vergeht, ohne dass ekstatische Voyeure durch eine Hecke, einen Zaun auf den arbeitenden Gärtner starren. Freundliche Anfragen für ein Autogramm degenerieren rasch ins Unangenehme, wenn ich bemerke: “Glauben Sie wirklich, dass Robbie Williams seine Hände mit einem Kakteengarten schmutzig macht?“. In der nächsten Sekunde verändert sich der Gesichtsausdruck meines Gegenübers merklich, zerfällt, ins Allgemeine. Die wenigen Bekanntschaften, welche zu Freunden werden, sind Menschen ohne Kenntnis von Robbie Williams. Und wie viele davon gibt es? Es ist eine einsame Strasse bis einer von uns stirbt. Es folgen schwierige Zeiten, Obama kämpft gegen Palin im Wahlkampf. Eines Abends gehe ich Bixel Street runter und bleibe an einer Menschentraube vor einem Restaurant stehen. Das Restaurant wird gerade neu eröffnet, Bänder durchschnitten. Vorne die Promis, dann die Fotografen, noch weiter hinten die Gaffer und ich, ein weiterer Gaffer. Durch das Fenster sehe ich Williams. Er trägt einen körperbetonten Anzug. Ich will ihn fragen, meinen Erzfeind, ob er denn realisiere, wie viel Kummer er mir bereite? Also umgehe ich den Sicherheitsdienst und plötzlich stehe ich vor ihm. Sagen tue ich nichts. Ist auch nicht notwendig. Mein Gesicht spricht. Er schaut mich an, nimmt eine Serviette und schreibt seine Telefonnummer darauf.

Am nächsten Tag rufe ich Williams an. Er fragt: „Wie ist es ich zu sein.“. Ich antworte: „Beschissen.“ „Wie wäre es ich zu sein und dafür bezahlt zu werden?“ fragt er nach. Ich meine: „Weniger beschissen.“ Und so begann mein Leben als temporärer Robbie Williams.

Montag, 1. Februar 2010

Vladimir - Der Anlass ist vorbei.

Müder Ballon, sehr müde Pflanzen
Verlaufen tue ich mich. Ordentlich. Nach einem Spaziergang vom "Güschu" runter ins Tal endet mein Weg nicht bei der Gurtenbahntalstation, sondern irgendwo in Restwabern, so Bondelistrassig. Dies ist halbtragisch, denn Umwege erhöhen die Ortskenntnisse. Dennoch, wegen der männlich erduldeten Kälte gönne ich mir ein Mandelbärli. Und nach so einem Mandelbärli habe ich jeweils Lust auf ein Bündnerfleischbrötli. Die gibt es beim Glatz. Ebenfalls. Später gehe ich an einen Anlass in diesem Kulturinstitut mit der Sprossenwand. Dort stehe ich in der Mitte, ein Bier in der Hand. Fettreste, Fäden vom Bündnerfleisch zwischen meinen Zähnen bearbeite ich mühselig mit meiner Zunge. Ich schaue mich um und stelle dabei fest, dass ich der einzige Mann mit einer Mütze bin. Dies sage ich der strähnigen Frau neben mir. Sie meint „Aha, schön für Dich“. Sie meint dann weiter und grundlos, dass ich ein lauwarmer Machoarsch sei. Irgendeinmal ist sie laut und überschreit gar die Musik. Noch später weint sie und gibt mir dafür die Schuld. „Manchmal muss mensch die Schuld bei sich selbst suchen“ murmle ich. Dies findet sie auch nicht lustig, aber wenigstens ist sie jetzt ruhig. Ganz kurz fühle ich mich wie ein Held. Aber das Bündnerfleischresten-entfernende Bier täuscht mich bei dieser Analyse. Denn kurz später fühle ich mich elend und böse. Es gibt einfach keine Helden mehr. Schon gar nicht im Monbijou. Wobei eine Ausnahme gibt es. Aber dieser lebt inkognito und ist der König der Avocado.

Dienstag, 15. Dezember 2009

Mia - Irgendwie Salvador Dalí-esk.


Den ersten Schnee könne mensch riechen, behaupten die FreundInnen des Winters erfreut. “Ja ja“ denke ich, “die belügen sich selbst“. Ob nun Lüge oder Wahrheit, kalt ist dieser Schnee trotzdem. Bärig sitze ich von November bis März mehrheitlich in meiner Wohnung. Dort stelle ich regelmässig Möbel um. Schränke und Schränkchen werden ausgemistet. Dieser ganze Ghüdder (inkl. Bankbelege 97) muss weg. Die Entleerung des Lebens. Aber bloss temporär. Denn die Füll- und Völlerei jagt durch den Advent. Diese Zeit ist üppig bestückt mit triefenden Sossen, Güetzis und dem alkoholischen Bisi des Teufels. Menschen rühren rührselig in Fondues bis sie die Umwelt durch Salvador Dalí’s Brille sehen. – So ging es mir auch gestern. Ordentlich betrunken brabbelte ich über Mann und Frau, um dann halsbrecherisch mit dem Satz “Wer anderen in die Möse beisst, ist böse meist“ zu enden. Einige lachten leise, andere schwiegen laut. Noch einen Schluck Rotwein und dann war der Sonntag, dieser Advents-Rollschinkli-Zimtstern-Rioja-Sonntag zu Ende.

Plötzlich Montag. Ein mustergültiger Montag. Innerlich schreie ich “Es ist zu Montag!“ Und diese Montage sind keine richtigen Tage. Eher helle Nächte. An der Tramstation am Viktoriaplatz stelle ich fest, dass die meisten älteren Menschen irgendwie ähnlich aussehen. Liegt vermutlich an den Coiffeuren. Im Tram über die Kornhausbrücke, neuerdings mit diesem Netz. Ratlos gucke ich. Zuerst auf das Netz. Dann auf meine Fingernägel. Die sind schmutzig. Ich sollte sie neu lackieren.

Item. Jetzt will ich nach Hause. Eigentlich will ich immer nach Hause. Auch wenn ich schon dort bin.

Sonntag, 1. November 2009

Vladimir - Manchmal bin ich ein Fisch.


Im Regen kann mensch Regenwürmer riechen.

Monbijou, nächtliches Monbijou. Im Bubenalter habe ich bereits in diesem verschlafenen Quartier geschlafen. Damals noch in einem doppelstöckigen Bett. Unter mir der grosse Bruder, über mir die Sterne und ein lachender Mond, welche meine Mutter an die Decke geklebt hatte. Die Himmelsgestirne leuchteten matt und gaben mir Orientierung in der Nacht. Heute orientiere ich mich am Handy-Display. Ich bin wach und es ist spät.

…Kniescheiben wie Frisbees…

Meine Laune ist neutral. Weshalb bloss? Warum steigt die Freude nicht in mir auf? Dabei habe ich sie heute gesehen. Mia, die Tänzerin. Nicht bloss diagonal gesehen. Ich habe sie auch gehört. Nur Satzfetzen, aber immerhin.

Ein Penis kommt selten allein. Dies gilt auch für Dich, Du trümmliger...

Ich wäre so gerne der Mann, der sie nicht bloss ansieht, nicht bloss zuhört, sondern der Mann der aufsteht, zu ihr geht. Ich wäre so gerne der Mann, der Dich mit einem Satz verzaubert. Aber ich bin ein Fisch und bleibe stumm. Stumm. Stumm.

Manchmal interessiert mich Deine Meinung einfach nicht. Tami.

Dann stehst Du auf, ein erstaunlich leiser Vorgang, ziehst Dich zwiebelmässig an. Dein Gesicht, beinahe regungsfrei. Deine Augen leicht zusammengedrückt. Ich erahne eine Suche in den Erinnerungen. Da, da. Du weisst wer ich bin. Deine Mundwinkel heben sich. Ich bleibe wachsfigurig. Du gehst. Ich denke an Deine blutroten Zehennägel. - Ich brauche mehr Zeit zum Schlafen. Denn der frühe Vogel, der kann mich mal.

Donnerstag, 15. Oktober 2009

Mia - Der BH-Gürtel. / Mia - The bra-belt.

Neben mir höre ich Schnarchatmen. Mein Kopf schmerzt, Nadeln suchen einen Ausgang. Ich öffne ein Auge und erblicke den Schnarchatmer, nackt neben mir. Dies ist nicht mein Bett, nicht mein Zimmer. Aber egal. Derzeit fokussieren sich meine Gedanken auf die Nadeln. Zudem muss ich pissen. Also aufstehen. Ich bin, abgesehen von einem BH, welchen ich als Gürtel trage, ebenfalls nackt. Wo ist bloss das WC? Wasser auf meinem Gesicht. Keine Tabletten vorhanden. Zähneputzen mit fremder Bürste. Eklig. Aber besser als fauler Mundgeruch. Zurück ins Bett. Der Mann ist wach. Er bietet Kafi an. Ich wünsche Panadol. Er bringt Kafi. Zurück im Schema: Kafi trinken, schmales Gespräch, Sex-mit-Dir-war-schampar-schön, Dusche, anziehen, Nummernaustausch (fakultativ). Auf der Strasse blendet mich die Helligkeit, trotz Hochnebel. Weshalb lande ich regelmässig in fremden Betten? Ich bin doch zu erfahren dafür, aus unbekannten Häusern zu fallen, meine Kleider verkehrt herumtragend und erst noch nicht ahnend, wo ich bin und wie ich wieder in den Breitsch komme. Eine Aneinanderreihung der Unverbindlichkeit. Dabei suche ich wohl Liebe. Liebe ist ein schönes Wort. Nashornscheisse auch. Aber eben. Es ist hart Single zu sein, insbesondere wenn Du an Hochzeiten eingeladen wirst. Also soll die Unverbindlichkeit begraben werden? Was gestern noch selbstverständlich war, kann heute schon unmöglich sein. Ich brauche eine Tablette und ein Cola und meinen Bund und mein Wohnzimmer, also das Diagonal.

Next to me I hear snore-breathing. My head hurts, needles are searching an exit. I open one eye and see the snore-breather, naked next to me. This is not my bed, not my room. But who cares. Presently my thoughts are focused on those needles. And I got to pee. So I get up. I am, besides a bra that I am wearing as a belt, also naked. Where is the bathroom? Water on my face. No pills in the cupboard. Brushing my teeth with his brush. Aah. But better than decayed breath in my mouth. Back to bed. The man is awake. He offers coffee. I request Panadol. He gets coffee. Back to the usual pattern: drinking coffee, “narrow” talk, sex-with-you-was-“schampar“-nice, shower, get dressed, exchange of phone numbers (facultative). Back in the streets the intensity of the light bedazzles me, despite high fog. Why do I regularly end up in unknown beds? I should be experienced enough, not to fall out of weird houses, wearing my clothes like Kris Kross, not even knowing where I am and how I get back to the Breitsch. A sequence of non-commitments. Probably I am searching for love. Love is a beautiful word. Rhino-shit also. „Item“. It is tough to be alone, especially at marriages. Should the non-commitments be buried? What was self-evident yesterday may be impossible today. I need a pill and a coke and my ”Bund“ and my living room, thus the ”Diagonal“.