Sonntag, 28. September 2008

Bei den Silbermenschen - ein eher schlechter Tag wird richtig schlecht.

An einem eher schlechten Tag wecken Dich um 3 h in der Nacht betrunkene Discoheimkehrer.
An einem eher schlechten Tag regnet es.
An einem eher schlechten Tag gehst Du spazieren und merkst nicht, dass Du den Regenschirm vergessen hast.
An einem eher schlechten Tag wirst Du von drei Halbstarken überfallen.
An einem eher schlechten Tag liegst Du auf dem Gesicht auf am Boden mit einem schlecht geschliffenen Messer im Rücken und kriegst ein Loch in das schöne dunkelblaue Hemd (Slim fit, Globus Bern, Ausverkauf).
An einem eher schlechten Tag werden Dein Pass mit Einreisestempel, Deine Kreditkarte, ziemlich viele Pesos, Deine gesammelten Notizen der letzten zehn Monate, Deine Lippenpomade (aber hallo) und Deine Kamera geklaut.
An einem richtig schlechten Tag liegst Du auf dem Bauch, mit diesem Messer im Rücken und zwei Jungs reissen an Deiner Uhr, dazu schreit der Messermann etwas von "voy a materte".
Ich will meine Lippenpomade zurück.

Und wenn es richtig mühsam wird, rufen die Halbstarken mitten in der Nacht im Hostel an und bieten eine Übergabe des Passes für eine Summe, welche über dem durchschnittlichen Monatslohn im Silberland liegt, an.

Bei den Silbermenschen - mürrischer Blick.

Mürrischer Blick, übernächtigt, und zwar kollektiv. So stehen und sitzen sie da, die Silbermenschen in der U-Bahn, der "Subte". Dieses permantent-aufreizende rebellisch sein. Diese unrasierten Gesichter, diese urbanen Kampfstiefel, paramilitärische Alltagskleider, stets bereit für eine Auseinandersetzung, diese unterschwellige Agression, diese Melancholie, tief eintätowiert unter der haarigen Haut, diese schrecklichen Anzüge mit drei Knöpfen, teilweise gar Doppelreiher. Was soll das¿ Wieso¿ Aber wirklich kollektiv mürrisch¿ Weshalb gab es nach der Entkoppelung vom US Dollar keine Revolution¿ Warum schreit ein durch Inflation und Währungsentwertung bestraftes Volk nicht auf¿ Was machen die Millionen in Miami¿ Vielleicht kommt sie ja noch, die Transformation dieser mürrischen Blicke in einen Aufschrei der Massen. Vielleicht auch nicht.

Dienstag, 16. September 2008

Faltiger Raum.

"Mit gedämpfter Stimme erklärt er sein Anliegen. Er habe Ideen, die er noch keinem habe mitteilen können. Ihm scheine nämlich, dass euklidische Raum eben nicht, wie es die Kritik der reinen Vernunft behaupte, die Form unserer Anschauung selbst und deshalb aller möglichen Erfahrung vorgeschrieben sei, sondern vielmehr eine Fiktion, ein schöner Traum. Die Wahrheit sei sehr unheimlich: Der Satz, dass zwei gegebene Parallelen einander niemals berührten, sei nie beweisbar gewesen, nicht durch Euklid, nicht durch jemand anderen. Aber es sei keineswegs, wie man immer gemeint habe, offensichtlich! Er, Gauss, vermute nun, dass der Satz nicht stimme. Vielleicht gebe es gar keine Parallelen. Vielleicht lasse der Raum auch zu, dass man, habe man eine Linie und einen Punkt neben ihr, unendlich viele verschiedene Parallelen durch diesen eine Punkt ziehen könne. Nur eines sei sicher: Der Raum sei faltig, gekrümmt und sehr seltsam. (...)
Wurst, sagte Kant.
Bitte?
Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen."

Quelle: Die Vermessung der Welt, Daniel Kehlmann, Rowohlt Verlag, 2007, Seiten 95 bis 97