Mittwoch, 8. Oktober 2008

Bei den Silbermenschen - Zahlen.

39 Mio. - Anzahl Einwohner Argentinien.
13 Mio. - Anzahl Einwohner Metropolitan Buenos Aires (BA).
12. - Rang BA in der Liste der grössten Städte der Welt.
4. - Rang BA in der Liste der lautesten Städte der Welt.
1:30 - Ratio Psychotherapeuten zur Bevölkerung BA.
1:100 - Ratio im Rest der "entwickelten" Welt.
3 - Anzahl Präsidenten, welche seit 1914 Ihre Legislaturperiode beendet haben.
4 - Anzahl Präsidenten innerhalb 11 Tagen im Dezember 2001.
30'000 - Anzahl Personen, welche während der Militärdiktatur verschwunden sind.

Montag, 6. Oktober 2008

Bei den Silbermenschen - Der Schlüssel.

Dolores betrachtet den feinen Nebelschleier, der sich in der Ferne über das geduckte Hausdach senkt und denkt: Es ist allenthalben spät, ich sollte mich beeilen. Der Weg ist steil und kurvig, mit unregelmässigen Granitsteinen gepflastert. Sträucher, dornige Büsche säumen ihn, die Luft ist frisch, parfümiert. Es ist schon wieder Oktober, denkt Dolores. Ob es wohl bald regnet? Sie hat länger als üblich am Cello gesessen, es gestreichelt und dies gibt ihr ein leises Gefühl der Unruhe. Aber wie hätte sie der Akkustik der leeren Kirchen widerstehen sollen? Die Messe war vorbei, die knorrigen Frauen längst zuhause und der Pfarrer war auch nicht zu sehen. - Vom Kirchenplatz ist Dolores' Haus kaum zu sehen, nur das morsche Dach und die Fenster des oberen Stockwerkes; Efeu rauft sich bis zu den Fensterbänken empor. In Nestor's Zimmer brennt ein milchiges Licht, wohl die abgedeckte Lampe auf der Kommode. Auf einem kleinen Tisch stehen militärisch aufgereiht die Bücher seines Lebens: die Bibel, zwei Kafka's, Borges in Hülle in Fülle, der unvermeidliche Neruda, der langatmige Dario, Frisch's Tagebücher, der neueste Pedro Lenz, ein Boyd, seine eigenen Tagebücher und ein Buch mit dem Titel "Jonglieren für Anfänger". Nun steht Dolores unten an der Türe und sucht den Hausschlüssel. Hoffentlich liegt dieser nicht wieder neben der Orgel in der verdammten Kirche. Derweil regt sich Nestor erbost úber die erneute Niederlage seiner geliebten Boca Juniors auf und schmeisst wütend einen Borges an die weiss getünchte Zimmerwand. Sein Wurf verfehlt aber das nicht verfehlbare Ziel deutlich und das Buch fliegt aus dem Fenster auf das Bürzi von Dolores. Sie kippt um, mehr vor Schreck, aber dennoch. Der vermisste Schlüssel fällt aus der Manteltasche. Dolores war schon unglücklicher.

Inspiriert von einem Buch, dessen Titel ich nicht kenne.

Sonntag, 5. Oktober 2008

Bei den Silbermenschen - Shopping Mall.

Ähnlich wie in Europa, verkommen auch die Innenstädte bei den Silbermenschen zu Museen. Die Kommerzialisierung findet ausserhalb, auf der grünen Wiese (bei uns heisst das Schönbühl oder Westside) statt. Beispielsweise ausserhalb der Stadt Rosario, wo derzeit die grösste Shopping Mall südlich von Sau Paulo gebaut wird. Die grauen Mauern mit den Eisenstangen für weitere Stockwerke ragen in den dunkelblauen Himmel. Gleich neben der grossen Baustelle befindet sich die "Villas miserias", Elendsviertel. In sanitärfreien und auch sonst eher freien Hütten hausen die Bauarbeiter und deren Familien. Es sind Wanderarbeiter, welche von Baustelle zu Baustelle ziehen. Im Gegensatz zu manch' anderen Berufsgattungen in Argentinien, sind sie nicht in einer Gewerkschaft und besitzen dementsprechend kaum Rechte. Sie sind nicht gegen Krankheit und Unfall versichert, Rente gibt es selbstverständlich auch nicht. Die Tageslöhne befinden sich zwischen 3 und 5 USD pro Stunde. Innerhalb der Hüttensiedlung gibt es Läden, Restaurants, eine Schule und einen Dorfplatz. Sogar Strassennamen wurden bestimmt. Das Leben findet auch ohne Annehmlichkeiten statt. Dennoch ist eine Romantisierung der Armut auch mit Fantasie nicht möglich. Die Kindersterblichkeit ist weit über dem Durchschnitt und die Armut zwingt viele Bewohner in die Kriminalität, wobei diese scheinbar bloss ausserhalb der Siedlung stattfindet. Innerhalb soll ein Ehrenkodex gelten. Am Mittag besuchen die Familien jeweils die Baustelle und bringen den arbeitenden Männern ein Mittagessen. Der Müll wird nach dem Essen neben die Baustelle geschmissen. Dementsprechend sieht die ganze Gegend um die Baustelle wie eine Müllhalde aus. Hunde, Kinder und Vögel sammeln die Reste ein.

Freitag, 3. Oktober 2008

Bei den Silbermenschen - Elton John ist Käse.

Warum mögen einige Menschen die Musik von Elton John? Item, ein Raum, eine Art Restaurant, früher hätte mensch wohl Speisehalle gesagt. Nur Männer sitzen da, fast alle essen alleine, trinken Bier (aus der 1-Liter-Flasche), dazu dröhnt Television 24durch den sterilen Raum. Draussen die Strasse, die lichtüberflutete Plaza, viel Verkehr (Busmotoren wie Maschinengewehre), aber auch lachende Schulkinder. Baumwollknäuel fliegen durch die Luft. Die Männer sind ruhig und starren, die Männer essen. Hie und da wird ordentlich gerülpst. Immer noch Elton John. Und ja, Gipfeli heissen hier Medialunas und riechen leicht nach Käse. Elton John ist auch Käse.

Sonntag, 28. September 2008

Bei den Silbermenschen - ein eher schlechter Tag wird richtig schlecht.

An einem eher schlechten Tag wecken Dich um 3 h in der Nacht betrunkene Discoheimkehrer.
An einem eher schlechten Tag regnet es.
An einem eher schlechten Tag gehst Du spazieren und merkst nicht, dass Du den Regenschirm vergessen hast.
An einem eher schlechten Tag wirst Du von drei Halbstarken überfallen.
An einem eher schlechten Tag liegst Du auf dem Gesicht auf am Boden mit einem schlecht geschliffenen Messer im Rücken und kriegst ein Loch in das schöne dunkelblaue Hemd (Slim fit, Globus Bern, Ausverkauf).
An einem eher schlechten Tag werden Dein Pass mit Einreisestempel, Deine Kreditkarte, ziemlich viele Pesos, Deine gesammelten Notizen der letzten zehn Monate, Deine Lippenpomade (aber hallo) und Deine Kamera geklaut.
An einem richtig schlechten Tag liegst Du auf dem Bauch, mit diesem Messer im Rücken und zwei Jungs reissen an Deiner Uhr, dazu schreit der Messermann etwas von "voy a materte".
Ich will meine Lippenpomade zurück.

Und wenn es richtig mühsam wird, rufen die Halbstarken mitten in der Nacht im Hostel an und bieten eine Übergabe des Passes für eine Summe, welche über dem durchschnittlichen Monatslohn im Silberland liegt, an.

Bei den Silbermenschen - mürrischer Blick.

Mürrischer Blick, übernächtigt, und zwar kollektiv. So stehen und sitzen sie da, die Silbermenschen in der U-Bahn, der "Subte". Dieses permantent-aufreizende rebellisch sein. Diese unrasierten Gesichter, diese urbanen Kampfstiefel, paramilitärische Alltagskleider, stets bereit für eine Auseinandersetzung, diese unterschwellige Agression, diese Melancholie, tief eintätowiert unter der haarigen Haut, diese schrecklichen Anzüge mit drei Knöpfen, teilweise gar Doppelreiher. Was soll das¿ Wieso¿ Aber wirklich kollektiv mürrisch¿ Weshalb gab es nach der Entkoppelung vom US Dollar keine Revolution¿ Warum schreit ein durch Inflation und Währungsentwertung bestraftes Volk nicht auf¿ Was machen die Millionen in Miami¿ Vielleicht kommt sie ja noch, die Transformation dieser mürrischen Blicke in einen Aufschrei der Massen. Vielleicht auch nicht.

Dienstag, 16. September 2008

Faltiger Raum.

"Mit gedämpfter Stimme erklärt er sein Anliegen. Er habe Ideen, die er noch keinem habe mitteilen können. Ihm scheine nämlich, dass euklidische Raum eben nicht, wie es die Kritik der reinen Vernunft behaupte, die Form unserer Anschauung selbst und deshalb aller möglichen Erfahrung vorgeschrieben sei, sondern vielmehr eine Fiktion, ein schöner Traum. Die Wahrheit sei sehr unheimlich: Der Satz, dass zwei gegebene Parallelen einander niemals berührten, sei nie beweisbar gewesen, nicht durch Euklid, nicht durch jemand anderen. Aber es sei keineswegs, wie man immer gemeint habe, offensichtlich! Er, Gauss, vermute nun, dass der Satz nicht stimme. Vielleicht gebe es gar keine Parallelen. Vielleicht lasse der Raum auch zu, dass man, habe man eine Linie und einen Punkt neben ihr, unendlich viele verschiedene Parallelen durch diesen eine Punkt ziehen könne. Nur eines sei sicher: Der Raum sei faltig, gekrümmt und sehr seltsam. (...)
Wurst, sagte Kant.
Bitte?
Der Lampe soll Wurst kaufen, sagte Kant. Wurst und Sterne. Soll er auch kaufen."

Quelle: Die Vermessung der Welt, Daniel Kehlmann, Rowohlt Verlag, 2007, Seiten 95 bis 97

Samstag, 30. August 2008

Trockene Pflanzen tanzen sinnlos.

Kurz nach seinem Krankenhausaufenthalt kehrte er wieder an seine Strasse, in seine Wohnung zurück. Verdurstete Pflanzen. Die Blätter zerfielen bei der kleinsten Berührung und als er die Wohnung lüftete, indem er Durchzug erzeugte, flogen die toten, trockenen Pflanzenreste durch die Luft und tanzten sinnlos. Sein Kopf schmerzte. Wie ein höllischer Kater. Aber getrunken hatte er nichts, schon seit Wochen nicht mehr. Er hustete, er spuckte Blut ins verstaubte Lavabo. Warmes Blut, klumpiges Blut, schwarzes Blut. Ihm war kalt. Er schloss die Fenster und starrte hinaus. Eine dicke Studentin, ein vermutlich blinder Mann und eine Frau mit einem blonden Kind traten aus dem Trolleybus und gingen im Treibgut des nahen Bahnhofes unter. Sie stand auch dort. Sie schaute zu ihm rauf. Adrenalinstoss. Eine halbe Minute später klingelte es. Er öffnete nicht, goss die Pflanzen, machte sich ein öliges Fischsandwich mit Kapern und ging schlafen. Schliesslich spielten am nächsten Tag die Young Boys gegen den GC.

Freitag, 29. August 2008

Tainted, kind of.

The moment was formulating it's thougths,
of adding oneself from memory,
fighting a memory that is tainted,
like someone whose arm has been torn off in an accident,
this is a tough business,
you alone know how much our talks cost me,
do you?

Mittwoch, 27. August 2008

Honolulu

"Murr löschte das blaue Licht. Draussen war es stockdunkel, dazu herrschte absolute Stille, nur die schwach erleuchtete Borduhr tickte. Den ärgsten Durst hatte ich gelöscht, dafür fror ich um so mehr. Mein entsprechendes Gejammer quittierte Murr mit einer kurzen, kommentarlosen Handbewegung am Armaturenbrett; ein Motörchen begann zu summen, und Wärme breitete sich aus; dazu strömte ein nach Fichtennadeln duftender Luftzug ins Wageninnere und verdrängte beinahe die Stumpenpest. Wie ich erst jetzt entdeckte, liess sich der Rücksessel in jede erdenkliche Lage verschieben. Zweifellos hätte man den Buick ohne weiteres in ein Schlafzimmer umwandeln können. Ich war drauf und dran, mich zu erkundigen, ob nicht auch eine Dusche vorhanden sei."

Quelle: Honolulu, Alexander Heimann, Edition Erpf bei Neptun, 2002, S. 71

Und übrigens: Am 6. September findet das Herzogstrassenfest 2008 statt. Dieses Jahr an der Herzogstrasse.
Mehr Infos hier: http://www.sp-bern-nord.ch/j/images/stories/agenda/herzog08_flyer.pdf

Dienstag, 26. August 2008

Wasserleitung, Wasserleitung rülpst.

Die Wasserleitung rülpst. Wahrscheinlich verstopft altes, braun-schwarzes Laub die Leitungsrohre. Schon wieder. Da ist eine Reaktion gefordert. Handwerker anrufen und wie üblich die Rechnung selbst berappen, da der Vermieter sperrig tut. Überhaupt, der Vermieter, dieser Lümmel. Limitierte, eingeschriebene Kontakte mit der Mieterschaft. Wenn er die Briefe liest, rülpst er vermutlich auch. Soll er. Wobei die gelbe Wand führt sicherlich noch zu weiteren Schwierigkeiten, wohl zu einem weiteren Rülpser seinerseits. – Die Wasserleitung ist immer noch verstopft. Vermutlich duscht der Nachbar und flutet die Röhren oder er benutzt die Abwaschmaschine, oder die Waschmaschine, oder die Badewanne, oder ein Wellenbad, oder kreuzt dieses tolle Kreuzfahrtschiff “Medusa“ immer noch durch die Laubrohre. Vielleicht. Item. Die Wasserleitung rülpst.

Freitag, 22. August 2008

Stellwerkfehler und Käsegesichter.

Sie stand da, Arme trotzig auf die auffälligen Hüftknochen gestützt und guckte rüber auf Perron 3. Dort auf Perron 3, regelmässige Werbeplakate mit Bänken für wartende, müde, gelangweilte, betrunkene Menschen. Aber auch Abfallkübel, orange Stempelstatuen und vereinsamte Transportwagen (2 Franken Depot, wer kriegt die eigentlich?). Züge fuhren nicht, “Stellwerkfehler“ behauptete die Lautsprecherin. Trotzdem stand sie da und lugte rüber auf Perron 3. Starrend, kaum mit den Augen zwinkernd. Perron 3. Menschen mit Käsegesichtern.

Am Nachmittag war sie in der Stadt gewesen, also in der Innenstadt. Eine weisse Bluse wollte sie kaufen. Aber die Kreditkarte klemmte, wobei dies nicht so schlimm war, hatte ihr die Bluse eigentlich gar nicht gefallen, der Schnitt ignorierte den Bauchnabel. Es wäre ein Notkauf gewesen. Dann halt lieber die ausgewetzte Bluse noch einmal benutzen, vielleicht mit einem Pulli, damit der dünne Ellbogenstoff versteckt ist. Später noch Zeitung lesen im Diagonal, verraucht, überraschend verraucht. Ist das nicht verboten? Egal. Die Zeitung passte irgendwie auch nicht. Der Schnitt war in Ordnung, aber nach den ganzen Gratiszeitungen war der Text vielleicht einfach zu lange. Daran war sie nicht mehr gewöhnt. Sie wollte Internetlesen. Schnell und schlagzeilig und SMSig.

Und jetzt halt, Augen gen Perron 3. Keine Bluse, keine Schlagzeilen, dafür Stellwerkfehler am Bahnhof und irgendwie auch überhaupt.

Donnerstag, 14. August 2008

Männer ohne Tore treiben dahin.

Sie fühlen die Notwendigkeit des Dahintreibens, die verordneten Befehle der Geheimdienste im Kopf. Diese Agenten wollen den geistigen Weg eingrenzen, verhindern. Es ist kein Spiel mehr, nein, es ist Arbeit. In dieser Arbeit sollen die Probleme gelöst werden. Geheimnisvolle Grabungen legen die Vergangenheit frei. Die Arbeiter suchen, wissen aber nicht weshalb. Über und unter Tage werden autonome Gebiete, Republiken gegründet. Als Notwendigkeit. Tore schiessen die Young Boys aber trotzdem keine. Schon gar nicht der Häberli.

Mittwoch, 6. August 2008

Room service.

Was bestelle ich wohl heute Abend beim Room service? Eher das libanesische Fladenbrot "Khobs" für EUR 1.60 oder eher das Lamm "Kharuf Mehschi" für EUR 1'000.00? Manchmal bin ich gastronomisch so unsicher.

Hier weitere Fotos aus München:
http://www.facebook.com/photo.php?pid=803272&l=49cce&id=651491654

Dienstag, 5. August 2008

Lila Männer.

München, Sommer, 20 h, 28 Grad Celsius, mein Haar sitzt. Innerhalb von 10 Minuten begegne ich diesen beiden Herren. Bei mindestens einem Herr sitzt das Haar nicht, es ist einfach noch da, aber eher symbolisch. Beim anderen Herr dafür umso stabiler, beinahe statisch, Leslie Nielsenesk. Beide Herren tragen Lila. Der Herr links ein Polo Shirt und irgendwie trägt er auch seine Frau, obwohl diese ungefähr zwei Meter vierzig gross ist. Der Herr rechts wagt einen lässig über die Schultern gehängten Pullover über einem weissen Leinenhemd, welches allenfalls früher als Segel gedient hat. Beide nehmen an Rennen teil, und keiner hat bisher gewonnen und wird es wohl auch nicht mehr. Dementsprechend sind die lila Kleider gar nicht so schlimm, da kaum nachtragend.